TEAMENTWICKLUNG. Bei virtuellen und hybriden Teams sind die Rahmenbedingungen der Zusammenarbeit andere als bei klassischen Teams, deren Mitglieder sich fast täglich persönlich treffen oder begegnen. Eine entsprechend große Rolle spielt bei ihrer Entwicklung der Faktor Vertrauen – ein Artikel von Hans-Peter Machwürth.

Hans-Peter Machwürth: CEO des Machwürth Team (MTI)
Viele Führungskräfte stehen zur Zeit, weil ihre Mitarbeiter vermehrt im Homeoffice arbeiten, erstmals vor der Herausforderung, virtuelle bzw. hybride Teams nicht nur zu führen , sondern auch zu entwickeln – also Teams, bei denen die Mitarbeiter an verschiedenen Orten arbeiten, weshalb mit ihnen eine Kommunikation weitgehend nur online oder per Telefon möglich ist. Das verunsichert viele.
Dies ist teilweise unbegründet, denn virtuelle und hybride Team durchlaufen, bis sie eine Top-Leistung erbringen, trotz der veränderten Rahmenbedingungen dieselben vier Entwicklungsphasen, die der US-Amerikaner Bruce Wayne Tuckman bereits vor mehr als 50 Jahren beschrieb.
Die vier Phasen der Teamentwicklung – auch bei hybriden und virtuellen Teams
- Forming – Orientierungsphase:
In der „Forming-Phase“ beschnuppern sich die Teammitglieder wechselseitig. Sie versuchen zu ermitteln: Wie „ticken“ die „neuen Kollegen“? Was können sie? Welche Interessen verfolgen sie und inwieweit ist eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit ihnen möglich? In dieser Phase empfindet sich das Team noch nicht als Team.
- Storming – Konfliktphase:
Die „Storming-Phase“ ist von Auseinandersetzungen geprägt. In ihr werden „Rangkämpfe“ ausgefochten. Es geht unter anderem darum, wer welche Aufgabe und Rolle im Team hat und wie stark die unterschiedlichen Interessen berücksichtigt werden. In dieser Phase kochen oft unterschwellige Konflikte zwischen den Bereichen und Funktionsgruppen im Unternehmen hoch.
- Norming – Organisationsphase:
In der „Norming-Phase“ glätten sich die Wogen allmählich. Nun entwickeln die Teammitglieder unter anderem Spielregeln für den Umgang miteinander. Außerdem vereinbaren sie Maximen, an die sich alle beim Lösen der gemeinsamen Aufgabe halten. Nun entfaltet die Teamarbeit allmählich ihre Vorzüge.
- Performing – Integrationsphase:
In der „Performing-Phase“ ist aus den einzelnen Teammitgliedern ein Team geworden, das sich gemeinsamen Werten und Zielen verpflichtet fühlt. Nun werden im Team deutlich bessere Ergebnisse erzielt, als wenn seine Mitglieder allein arbeiten würden.
Herausforderung bei hybriden Teams: Konflikte erkennen

MTI-Zentrale in Visselhövede
Wie traditionelle Teams durchlaufen auch virtuelle und hybride diesen teamdynamischen Prozess. Bei Letzteren ist aber die Gefahr größer, dass das Team in der „Storming“-Phase stecken bleibt – speziell dann, wenn die nun auftretenden Konflikte nicht nachhaltig bearbeitet werden.
Ein Problem bei virtuellen und hybriden Teams ist: In ihnen werden vorhandene und sich anbahnende Konflikte von der Teamleitung aufgrund der räumlichen Verteilung oft später als in traditionellen erkannt. Entsprechend wichtig ist eine Kultur der Offenheit, des konstruktiven Feedbacks sowie Respekts in ihnen. Denn dann können Konflikte, Interessengegensätze sowie unterschiedliche Wahrnehmungen und Einschätzungen, aus denen Konflikte erwachsen könnten, leichter angesprochen und bearbeitet werden. Doch selbst dann muss die Teamleitung sehr sensibel für eventuelle Unstimmigkeiten sein und bleiben, denn diese artikulieren sich bei einer virtuellen Zusammenarbeit oft versteckt – zum Beispiel in Mails und Memos.
Herausforderung bei hybriden Teams: Mitarbeiter auf Distanz führen
Generell gilt: Der zentrale Erfolgsfaktor beim Führen virtueller und hybrider Teams ist Vertrauen. Denn aufgrund der räumlichen Distanz zumindest zu einem Teil der Mitarbeiter erhält die Führungskraft weniger Detailinformationen und informelle Infos. Also ist auch weniger Kontrolle möglich, was wirklich passiert. Deshalb müssen die Führungskräfte ihre Mitarbeiter an einer „längeren Leine“ führen. Und die Teammitglieder müssen mehr Verantwortung übernehmen. Also muss auch die Vertrauensbereitschaft der Führungskraft größer sein.
Hieraus resultieren folgende Anforderungen an die Kompetenz und Persönlichkeit von Führungskräften, die ihre Mitarbeiter weitgehend auf Distanz führen:
- Sie sollten ein positives Menschenbild und ein niedriges Kontrollbedürfnis haben.
- Sie sollten eine die Mitarbeiter motivierende Vision haben, wie sich die Zusammenarbeit gestalten und von welchen Werten das Miteinander geprägt sein soll. Und:
- Sie sollten sensibel für die Wertesysteme und Bedürfnisse anderer Menschen sein – speziell dann, wenn diese in anderen Kulturen oder gesellschaftlichen Milieus zuhause sind.
Aufgabe in hybriden & virtuellen Teams: Vertrauen auf- und ausbauen
Das gilt zwar auch für das Führen klassischer Teams, doch bei virtuellen und hybriden haben diese Faktoren eine noch höhere Relevanz, denn: Bei einer weitgehend virtuellen Zusammenarbeit ist es schwieriger, Vertrauen aufzubauen. Deshalb sollte bei der Auswahl der Personen, die solche Teams leiten, beachtet werden.
Beim Vertrauen gilt es, zwischen
- dem Vertrauen in die fachliche und persönliche Kompetenz der anderen Teammitglieder und
- dem persönlichen Vertrauen zwischen den Teammitgliedern
zu unterscheiden. Das Vertrauen in die Kompetenz lässt sich durch eine entsprechende Auswahl der Mitglieder sowie (Weiter-)Qualifizierung von ihnen realisieren. Persönliches Vertrauen hingegen entsteht nur, wenn die Teammitglieder sich persönlich kennenlernen und ein Gespür dafür entwickeln, wie der jeweils andere „tickt“: Wie verhält er sich? Was ist ihm wichtig? Wie reagiert er, wenn …?
Deshalb sollte, bevor virtuelle (und hybride) Teams ihre Arbeit aufnehmen, möglichst ein Kick-Off stattfinden, bei dem die Mitglieder sich „beschnuppern“, Auge in Auge miteinander kommunizieren und den jeweils anderen auch als Mensch wahrnehmen. Zudem sollten regelmäßig Treffen stattfinden, bei denen die Teammitglieder über die gemeinsame Arbeit sprechen und ihre persönliche Beziehung vertiefen.
Aufgabe in hybriden Teams: Information und Kommunikation sicherstellen

Hans-Peter Machwürth beim Präsentieren
Vertrauen entwickelt sich stets mit der Zeit und hierfür ist es auch wichtig, sich gut informiert zu fühlen. Deshalb ist es eine Kernaufgabe der Teamleitung, für eine regelmäßige, offene und umfassende Kommunikation zu sorgen. Hierfür gilt es, Kommunikations- und Informationsroutinen zu etablieren, die vom Team angenommen und unterstützt werden. Regelmäßige virtuelle Team-Meetings gehören ebenso dazu wie Vier- und Mehr-Augen-Gespräche. Zudem sollte virtuellen und hybriden Teams eine Plattform für die informelle Kommunikation zur Verfügung stehen. Diese Funktion können soziale Netzwerke, Chat-Tools und ähnliche Instrumente erfüllen.
Generell gilt: Eine virtuelle Zusammenarbeit stellt höhere und teils andere Anforderungen an die Teammitglieder und die Teamleitung als die traditionelle Form der Zusammenarbeit. Das wird vielen Unternehmen, die in den zurückliegenden zwei Jahren das Arbeiten in virtuellen oder hybriden Teams – oft unter dem Label „New Work“ – forcierten, zunehmend bewusst.
Aufgabe: Bei den Team-Mitgliedern für die nötige Reife entwickeln
Zudem wird ihnen zunehmend bewusst, dass die Mitglieder solcher Teams, weil sie eigenständiger und -verantwortlicher arbeiten müssen, eine gewisse fachliche und persönliche Reife brauchen. Deshalb ist zum Beispiel in der Einarbeitungsphase von Mitarbeitern ein Führen auf Distanz meist nur sehr bedingt möglich. Dasselbe gilt, wenn Mitarbeiter an das Wahrnehmen für sie neuer, komplexer Aufgaben herangeführt werden sollen, denn dann benötigen sie in der Regel eine fachliche und mentale Unterstützung – sei es durch ihre Führungskraft oder erfahrene Kollegen.
Wird dies bei der Teamzusammenstellung und der Teamführung bedacht, können virtuelle und hybride Teams eine zentrale Säule der künftigen Arbeitsorganisation in den Unternehmen sein, denn sie ermöglichen es den Unternehmen, flexibel auf veränderte Rahmenbedingungen zu reagieren. Zudem entsprechen sie oft dem Bedürfnis der Mitarbeiter, bei ihrer Arbeitsgestaltung zeit- und ortsunabhängiger zu sein.
Hans Peter Machwürth
Zum Autor: Hans-Peter Machwürth ist Geschäftsführer des Beratungsunternehmens Machwürth Team International (MTI Consultancy). Dieses bietet u.a. das Online-Führungskräfteentwicklungsprogramm „360° Leadership Programm“ an, das Führungskräfte auch zum Führen hybrider Teams qualifiziert.