MARKETING LIFE-COACHES, KUNDENAKQUISE. „Schämt der sich nicht?“ Das frage ich mich zuweilen, wenn ich von mir unbekannten Coaches Mails erhalte, die mir als Privatperson, Hilfe beim Lösen persönlicher Probleme offerieren, die ich gar nicht habe.
Durch die moderne Kommunikations- und Informationstechnik verändert sich nicht nur unser Kommunikationsgebaren. Es verändern sich auch die Verhaltensregeln, die lange Zeit für Gros der Berater bei der Kundenkommunikation und beim Akquirieren von Aufträgen unausgesprochen galten.
Das Eindringen in die „Privatsphäre“ einer Person war tabu, …

Life-Coaches setzen bei der Kundenakquise zunehmend auf fragwürdige Methoden
So war es zum Beispiel, als es
- die Social Media noch nicht gab und
- die Coachings noch fast ausschließlich persönliche Treffen waren,
für fast alle Life-Coaches, die Menschen beim Bewältigen von Krisen unterstützen, ein absolutes No-Go, Personen, die sie nicht persönlich kannten,
- einen Handzettel in den Briefkasten zu werfen oder
- einen Werbebrief per Post zu senden oder
- eine Werbemail zu schreiben
mit folgendem Tenor:
„Haben Sie einen Burnout oder befinden Sie sich am Rande hiervon … und wissen Sie nicht, was Sie dagegen tun sollen? Wenn ja, dann sollten Sie mich kontaktieren, denn ich kann …
Oder:
„Sind Sie oder eine von Ihnen geliebte Person psychisch erkrankt und suchen Sie verzweifelt nach einem Weg, wieder zu gesunden? Wenn ja, dann sollten Sie …“.
Oder:
„Sind Sie überschuldet? Wollen Sie wieder Ihre finanzielle Freiheit erlangen? Wenn ja, dann sollten Sie …“
…unter anderem wegen der potenziellen Wirkung solcher Schreiben

Viele Coaches sind im Marketing-Bereich sehr hilflos
Solche Werbeschrieben, Mails usw. waren bis vor vier, fünf Jahren – als das Coaching-Business noch ein weitgehend lokales bzw. regionales war – ein absolutes No-Go; unter anderem, weil für die Coaches nicht absehbar war, was eine solche Mail bei einer Person, die sich gerade in einer solchen Problemsituation befindet oder eine solche gerade mühsam überstanden hat, auslöst.
Zudem wäre bei einem solchen „Rundschreiben“ klar gewesen: Nur eine absolute Minderheit der adressierten Personen befinden sich in einer solchen Situation. Und die restlichen Empfänger? Von ihnen wäre ein nicht unerheblicher Teil bei Erhalt eines solchen Schreibens verärgert. Ein Risiko, das viele Coaches nicht eingehen wollten – auch um ihrem regionalen oder lokalen Ruf, ein seriöser Anbieter zu sein, nicht zu schaden.
Dieses Tabu existiert für manche Life-Coaches nicht mehr
Diese Situation hat sich anscheinend durch den Siegeszug der modernen Kommunikations- und Informationstechnik, die es Coaches unter anderem ermöglicht,
- ihre Leistungen auch digital zu erbringen und
- Menschen weltweit – nahezu kostenlos – mit ihren Werbebotschaften zu traktieren
völlig verändert. So erhalte ich zum Beispiel per Mail oder über die Social Media – egal wie sie heißen – seit einiger Zeit gehäuft Werbemails, wie die folgende. die ich vor zwei Tagen via LinkedIn von einem Coach der „Systemisches Coaching mit Herz“ anbietet erhielt:
Hallo Bernhard, wir kennen uns noch nicht. Ich möchte Dir mein neues Angebot vorstellen: Besser 90 Tage Coaching als Scheidung. Ehe Retten? Ja! Als Coach mit 15 Jahren Erfahrung helfe ich in nur 90 Tagen Ihre Ehe zu retten. Für eine glückliche Paarbeziehung.
Übrigens, kennst Du (noch) jemand für den mein neues Angebot interessant sein könnte?
Herzliche Grüße …..
Manche Akquise-Mails der Coaches sind „problematisch“

Viele Life-Coaches wissen nicht, wie sie ihre Zielkunden ansprechen und erreichen können
Diese nicht nur sprachlich und stilistisch sehr holprige Nachricht – von einer mir unbekannten Person – empfand ich als Frechheit, weshalb ich mich auch genötigt sah, hierauf zu antworten:
„So etwas als Coach ‚blind‘ – an Unbekannte – in die Welt hinauszuschicken, erachte ich als problematisch.“
Ich hätte auch schreiben können;
„Dies zeugt nicht davon, dass ein Coach
- systemisch denkt und handelt oder
- qualitativ so hochwertig arbeitet, dass er nach 15 Jahren Berufstätigkeit schon einigermaßen gut im Markt verankert ist.“
Doch dies ersparte ich mir – auch weil ich keine Lust hatte, mit dem Coach in einen längeren Diskurs zu treten.
Dessen ungeachtet erhalte ich in jüngster Zeit insbesondere von Life-Coaches, deren Zielkunden Selbstzahler und Privatpersonen sind, gehäuft Mails und Social. Media-Nachrichten, die ich als „grenzüberschreitend“ empfinde und die meines Erachtens jegliches Takt- und Schamgefühl vermissen lassen. So wurde ich zum Beispiel auch schon gefragt, ob ich unter einer „unheilbaren Krankheit wie zum Beispiel Krebs“ leide; des Weiteren, ob ich ein „Alkohol- oder anderes Drogenproblem“ oder ein Problem mit meinem „körperlichen Wohl- und Lustempfinden“ habe.
Sind die Absender skrupellose Geschäftsmacher oder hilflose Coaches?
Bei den Absendern dieser Mails unterscheide ich zwischen 3 Gruppen:
- Skrupellose Geschäftemacher, die relativ fit im Bereich Online-Marketing sind (und nicht selten in Dubai oder sonst wo wohnen) und wissen, dass man mit Menschen, die einen hohen Leidensdruck empfinden, leicht Geld verdienen kann, sofern man bei ihnen die „richtigen Knöpfe“ drückt.
- Möchte-gerne-Coaches, die einen Schnellkurs in Sachen Coaching absolviert haben, jedoch faktisch nicht die nötige Qualifikation zum Coachen haben und nun verzweifelt nach potenziellen Kunden suchen (u.a. damit das in ihre Coaching-Ausbildung investierte Geld keine Fehlinvestition war)
- Fachlich eigentlich fitte Coaches, die jedoch die Marktveränderungen (und die wachsende Konkurrenz von Online-Coachinganbietern und KI-gestützten Coaching-Programmen) spüren und sich deshalb im Markt neu positionieren müssen, damit sie auch in einigen Jahren noch marktfähig sind und ihren Lebensunterhalt finanzieren können.
Coaches starten – wegen der Marktveränderungen – häufiger Verzweiflungsaktionen

Cover der neusten Auflage des Marketing-Klassikers u.a. für Coaches von mir „Die Katze im Sack verkaufen“
Die Zahl der Coaches, die zur letztgenannten Gruppe zählen, steigt – weshalb auch immer mehr von ihnen Verzweiflungsaktionen im Marketingbereich starten (die eigentlich ihrem eigenen Wertesystem widersprechen). Doch nicht nur dies: Sie werden aus Existenzangst auch zunehmend empfänglich für die Angebote von Marketingberatern für Berater, Trainer und Coaches, die ihnen online versprechen: „Wenn Du uns und unseren Empfehlungen vertraust, dann sind Deine Auftragsbücher morgen prall gefüllt und Deine Umsätze verdrei-, nein verzehnfachen sich.“
Ob es sich hierbei um seriöse Marketingberater handelt oder ob diese Anbieter eher zu den skrupellosen Geschäftemachern zählen, die den Leidensdruck ihrer Zielkunden schamlos ausnutzen, das muss jeder Berater oder Coach selbst entscheiden.
Bernhard Kuntz
PS.: Dieser Blog-Beitrag ist in einer leicht variierten Form unter anderem im Portal www.consulting.de erschienen.