ZEITMANAGEMENT: SEIN & BEWUSSTSEIN. Gestern las ich, der renommierte „Zeitforscher“ Prof. Dr. Karlheinz A. Geißler ist vergangene Woche im Alter von 78 Jahren verstorben.
Karlheinz Geißler war einer der großen Vordenker im deutschsprachigen Raum bezüglich des Themas „Umgang mit der Zeit“ und eine seiner Kernthesen lautete (wenn ich mich recht entsinne): Zeit kann man nicht managen, da sie schlicht vergeht. Das Einzige, was man als Person managen bzw. gestalten kann, ist das eigene Leben, indem man die zur Verfügung stehende (Lebens-)Zeit effektiv bzw. sinnvoll nutzt.
Eine ehemals sehr wichtige kritische Stimme

Einer der profiliertesten Zeitforscher: Prof. Dr. Karlheinz Geißler
Insofern war Geißler auch eine wichtige kritische Stimme insbesondere in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts,
- als das Thema „Zeitmanagement“ einen regelrechten Boom erlebte und
- sogenannte „Zeitplaner“ (bevorzugt von TimeSystems“) ein ebenso unverzichtbares Accessoire von (Möchte-gern-)Managern waren, wie heute Sneaker, Smartphones aber auch Uhren gewisser Luxusmarken.
Karlheinz Geißler selbst, so liest man, trug über drei Jahrzehnte lang keine Uhr.
Karlheinz Geißler wird mir in Erinnerung bleiben
Karlheinz Geißler, dem ich in meinem Leben nie begegnet bin und mit dem ich nie persönlich gesprochen habe, wird mir bis an mein Lebensende in Erinnerung bleiben. Aus folgendem Grund: 1998, als ich bereits 5, 6 Jahre als Marketingberater für Trainer und Berater selbstständig tätig war (Coaches und Speaker gab es damals noch nicht), entschied ich, ein Fachbuch zum Thema „Bildung und Beratung vermarkten und verkaufen“ zu schreiben (das Erste zu diesem Thema zumindest im deutschsprachigen Raum).
Karlheinz Geißler war Mitglied im Beirat des Beltz Verlags
Also kontaktierte ich den Beltz-Verlag in Weinheim und frage an, ob er daran interessiert sei, ein solchen Buch in seiner, damals sehr populären grünen Weiterbildungsreihe zu publizieren. Die Programmplaner baten mich, ihnen ein Exposee mit den Kernbotschaften sowie ein potenzielles Inhaltsverzeichnis zu senden. Das tat ich und der Verlag leitete meine Unterlagen an seinen „wissenschaftlichen Beirat“, dem auch Karlheinz Geißler angehörte, zur Begutachtung weiter. Danach verstrich einige Zeit. Doch dann sandte Herr Geißler im Namen des Beirats (dessen Vorsitzender er, soweit ich mich erinnere, war) das gewünschte Feedback.
Feedback: Das Thema Bildungs- und Beratungsmarketing …
Es lautete auf den Punkt gebracht: „Was soll so ein ‚Quark‘ bzw. ‚Mist‘? Für dieses Thema interessiert sich doch kein Trainer, Berater bzw. Weiterbildner.“ Selbstverständlich formulierte Herr Geißler dies in einem, einem Professor angemesseneren elaborierteren Code, die Botschaft war jedoch dieselbe. Daraufhin teilte mir der Beltz-Verlag mit, er sei an der Veröffentlichung eines Buchs zum Thema Bildungs- und Beratungsmarketing nicht interessiert, da hierfür kein Bedarf bzw. Markt existiere.
… ist ein ähnlicher „Mist“ wie das Thema Zeitmanagement
Das recht kategorische Feedback bzw. „Nein“ von Herr Geißler überraschte mich damals, unter anderem, weil ich während meiner Tätigkeit als Redakteur der Zeitschrift „management & seminar“ (nicht managerSeminare) und Verantwortlicher für die Zeitschrift „wirtschaft + weiterbildung“ eher die Erfahrung gesammelt hatte:
- Das Thema Marketing wird für Trainer und Berater immer wichtiger, unter anderem, weil die Zahl ihrer Mitbewerber kontinuierlich steigt. Und:
- Den meisten Trainern und Beratern fehlt das erforderliche Marketing-Knowhow, um sich und jhre Leistungen effektiv zu vermarkten, entsprechend dankbar sind sie für Hilfestellungen
– was mich unter anderem dazu bewog, mich als „Marketing- und PR-Berater und -Unterstützer für Trainer und Berater“ selbstständig zu machen.
Frage: Was veranlasst den Zeitforscher zu dieser Einschätzung?

Lothar Seiwert: Ein gefragter Redner und Autor zum Thema Zeit- und Selbstmanagement
Das Feedback von Herrn Geißler irritierte mich zudem, da ich in den Jahren zuvor vermutlich alle zum damaligen Zeitpunkt auf dem Markt befindlichen Bücher von ihm zum Thema Zeit zumindest quergelesen hatte – auch weil ich damals als PR-Unterstützer unter anderem für den sogenannten „Zeitmanagement-Papst“ Lothar Seiwert arbeitete. Deshalb war ich mit den Gedanken von Herrn Geißler durchaus vertraut und schätzte ihn als kritische und intelligente Stimme in der Auseinandersetzung rund um das Thema Zeit.
Beamte und Selbstständige nehmen die Realität unterschiedlich wahr
Das Feedback von Karlheinz Geißler machte mir (als Person, die auch heute noch Karl Marx als einen der wichtigsten gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Denker Deutschlands erachtet), aber auch erneut bewusst, wie sehr das Sein das Bewusstsein prägt. Denn Karlheinz Geißler war zu diesem Zeitpunkt bereits 13 Jahre Professor für Wirtschaftspädagogik an der Universität der Bundeswehr in München. Ihm wurde also Monat für Monat zu Monatsbeginn sein auskömmliches Professorengehalt überwiesen, weshalb ihm vermutlich, anders als so manch selbstständigen Berater oder Trainer, folgende Fragen nicht auf den Nägeln brannten:
- Wie bekomme ich genügend Aufträge, um meinen Lebensunterhalt und den meiner Familie zu sichern? Und:
- Wie gelingt es mir, dafür zu sorgen, dass meine Auftragslage und somit mein Einkommen die hierfür nötige Kontinuität aufweisen?
Deshalb kam er, so meine Vermutung, auch zu seiner Einschätzung der Relevanz des Themas Bildungs- und Beratungsmarketing.
Mein Beratermarketing-Buch erschien im managerSeminare-Verlag

Cover der 4. Auflage meines Buchs „Die Katze im Sack verkaufen“
Nach dem Feedback von Herrn Geißler und der Absage des Beltz-Verlags kontaktierte ich – mit nahezu denselben Unterlagen – übrigens den Verlag managerSeminare, in dem mein Buch dann 2002 unter dem Titel „Die Katze im Sack verkaufen: Wie Sie Bildung und Beratung mit System vermarkten“ erschien.
Dieses war als Fachbuch zwar bei weitem nicht so ein Bestseller wie beispielsweise Lothar Seiwerts Zeit- und Selbstmanagement-Buch „Wenn du es eilig hast; gehe langsam“, es entwickelte sich aber zu einem Longseller (andere würden sagen „Standardwerk“ im Bereich Bildungs- und Beratungsmarketing). So wird seine inzwischen aktualisierte Ausgabe auch heute noch zum Beispiel in zahlreichen Trainer-, Berater- und Coachausbildungen den Teilnehmenden zur Lektüre empfohlen.
Und rund um das Thema Bildungs- und Beratungsmarketing hat sich inzwischen ein eigener Markt entwickelt, der sich immer weiter ausdifferenziert. Das heißt auch, dass wir, also die PRofilBerater, schon lange nicht mehr, wie in unserer Anfangszeit die einzigen auf die Trainer- und Beraterszene spezialisierten Marketingberater sind. Auch wir haben inzwischen eine nahezu unüberschaubare Zahl von durchaus kompetenten Mitbewerbern.
Schade, dass ich Herrn Geißler nie persönlich kennengelernt habe
Warum ich diesen Text schreibe? Nicht nur, weil ich, als ich vom Tod Karlheinz Geißlers erfuhr, unmittelbar an mein Erlebnis mit ihm denken musste. Ich verspüre nachträglich auch ein Bedauern, dass ich nie das persönliche Gespräch mit Herr Prof. Dr. Karlheinz Geißler gesucht habe, denn die intellektuelle Auseinandersetzung mit ihm wäre zumindest für mich (vielleicht auch ihn) bereichernd gewesen, denn er war ein wacher, heller Geist.
Wir haben alle aufgrund unseres Seins blinde Flecken – auch ich

„Auch ich habe aufgrund meines Seins ‚falsche Glaubenssätze‘ und ‚blinde Flecken'“
Ich schreibe dies jedoch auch aus einem weiteren Grund: Aus meiner Warte ist es gerade in unserer von rascher Veränderung und einer hohen Verunsicherung geprägten Zeit extrem wichtig, uns immer wieder bewusst zu machen, wie stark unser Sein unser Bewusstsein prägt; des Weiteren, dass auch wir aufgrund unseres Seins – also zum Beispiel aufgrund unseres Lebens in einer der reichsten Industrienationen, unserer Zugehörigkeit zur (oberen) Mittelschicht usw. – gewisse Glaubenssätze verinnerlicht und folglich auch blinde Flecken haben, die uns zu gewissen Einschätzungen und Urteilen verleiten.
Welche Glaubensätze verleiten uns zu Fehleinschätzungen?
Sich dessen bewusst zu sein, ist aus meiner Warte gerade in Zeiten sehr wichtig, in denen sich eine „Zeitenwende“ in unserer Wirtschaft und Gesellschaft vollzieht. Denn dann müssen wir uns auch fragen, ob unsere Glaubenssätze, Einschätzungen usw. noch richtig bzw. so alternativlos sind, wie sie uns oft erscheinen. Ansonsten gelangen wir schnell zu Urteilen, die den veränderten Rahmenbedingungen und drängenden Herausforderungen, vor denen unsere Gesellschaft bzw. gewisse Personengruppen in ihr stehen, nicht (mehr) angemessen sind.
Herr Prof. Dr. Karlheinz A. Geißler ruhen Sie in Frieden. Ich denke an Sie.